Zu Besuch im Land des Ahornblattes

Vergangene Woche kam ich in den Genuss aus geschäftlichen Gründen in Westkanada zu weilen. Selbstverständlich wurde bereits vor der Abreise der prall gefüllte Terminkalender mit den Spieldaten der lokalen NHL-Teams abgeglichen. Der Start der Regular Season in der NHL wird leider erst im Oktober erfolgen, jedoch werden natürlich auch im Mutterland des Hockeys Vorbereitungsspiele ausgetragen. Priorität hatte natürlich ein Spiel mit Langenthaler Beteiligung und wie es der Zufall wollte trafen am letzten Tag meines Aufenthaltes die Flames in Calgary auf die Vancouver Canucks. Die Tatsache, dass Sven Bärtschi erst diesen Sommer aus Alberta an die Pazifikküste getradet wurde, verlieh dieser Affiche aus Gelb-Blauer Sicht natürlich noch zusätzlich an Brisanz. So wurde zeitig ein Ticket organisiert, welches im Press-Level (3. Etage, zuoberst im Stadion) für 25$ doch ziemlich erschwinglich war. Die Preise für die Sitze ab dem 2. Stock abwärts in Richtung Spielfeld liessen einem dennoch den Atem stocken, fingen doch diese bei ca. 75$ an und stiegen in dieser Manier unaufhaltsam aufwärts desto näher man am Geschehen sitzen wollte (für ein Vorbereitungsspiel wohlverstanden!).


Nichtsdestotrotz freute ich mich natürlich auf mein 2. Spiel in Übersee und den neuen Ground, den Scotiabank Saddledome. Nach Betreten des Stadions erschlug mich erstmal das Chilbi-ähnliche Treiben in den Katakomben hinter der Tribüne: Nachos hier, Donuts dort, Tacho, Pizza und Popcorn gibt‘s neben dem überquellenden Fanshop, „Cooooooold Beeeer“-Gebrüll und Massagen obendrauf (gut das letzte ist übertrieben, aber verwundert hätte es mich nicht) - wer will kann sich hier bis zur Bewusstlosigkeit durchfressen. Angekommen an meinem Sitzplatz hiess es erstmal Augen zusammenkneifen und das Spielfeld suchen. Klar, für 25$ darf man hier nicht mehr erwarten, als ein paar Megapixel, die einen schwarzen, noch viel kleineren Pixel hinterherjagen. Kurz mal die Aufstellungen auf den Grossleinwänden im Stadiondach - wo übrigens in den Pausen oder während Unterbrüchen American Football und Baseball gezeigt wurde - studiert und mit Freude festgestellt, dass der Langenthaler Bursche in der 1. Linie auflaufen wird! Pünktlich um 19:00 Uhr gingen die Lichter aus und die grosse Show konnte starten. Mit Feuer, Musik und Live vorgetragener Nationalhymne wurden die Akteure ins Rennen geschickt.


Die Canucks gingen früh durch ein Powerplaytor von Virtanen mit 1:0 in Führung. Sam Bennett und Micheal Ferland drehten das ganze jedoch zu Gunsten der Flames, die somit mit einer 2:1-Führung in die 1. Pause gingen. Leider vermochte im ca. 3/4 gefüllten Stadion nie wirklich Stimmung aufzukommen. Wenn auf den LED-Leuchtbahnen und dem grossen Videowürfel nicht gerade die „Make some Noise“-Folie aufgelegt sowie der Bass aufgedreht wurde, konnte man (auch von meinem billigen Platz) jeden Ruf der Spieler, Stöhnen der Sessel und den sich darin fläzenden Zuschauer oder das knuspern von Dorritos in den Mäulern der Besucher hören. Von Zeit zu Zeit wurden Gutscheine oder T-Shirts verschenkt was die Stimmung jeweils für einen Augenblick anzuheben vermochte. In den mindestens zweimal pro Drittel anfallenden „Commercial-Breaks“ wurden einem unter anderem Gewinnspiele, laute Musik und tonnenweise Werbung um die Ohren gehauen. Das Huskie-Maskottchen versuchte mehrmals vergeblich die Masse anzufeuern jedoch herrschte ausser ein paar „Go Flames Go“-Rufen meist Totenstille im 19‘289 Zuschauer fassenden Saddledome. Ach ja, Hockey gespielt wurde übrigens auch noch; die Flames schickten die Gäste schlussendlich mit 4:1 nach Hause. Bärtschi machte einen soliden Eindruck, schlug ein paar zungenschnalzende Pässe und tauchte ab und an vor Jonas Hiller auf. Insgesamt spielte die #47 14:47 min. Wir drücken die Daumen, dass sich der Oberaargauer an der „Perle des Pazifiks“ - in Vancouver - endlich durchzusetzen vermag und wünschen ihm viel Erfolg! Go for it Sven!


Rückblickend gesehen hat mir dieser Besuch wieder mal die Augen geöffnet. Einerseits, dass Hockey einfach der geilste Sport auf Erden ist. Das Niveau war auch für ein Vorbereitungsspiel hochklassig, die Checks kernig und zu Ende geführt, die Pässe punktgenau und zuckersüss, die Schüsse hart und präzise, die Kombinationen herrlich anzusehen und und die Paraden der Goalies hervorragend. Einfach Weltklasse! Die Liga in Nordamerika ist schlicht und einfach die beste und attraktivste des Planeten. Punkt!


Anderseits jedoch wurde mir ein weiteres Mal bewusst, dass wir genau diese Event-Atmosphäre um jeden Preis vermeiden müssen. In Nordamerika sind die Fans Kunden, die ein Event besuchen. Egal ob es sich um ein Kellerduell oder ein Playoff-Finalspiel handelt - das ganze drum und dran wird zu einer riesigen Show aufgeblasen. Die tolle Stimmung sowie die lautstarken, bunten und kreativen Fankurven, welche wir hier in der Schweiz oder Europa im Allgemeinen kennen und zelebrieren, sind ennet dem Teich schlicht nicht vorhanden. Das Spiel verkommt zur Nebensache und die Aufmerksamkeit gilt der nächsten Verlosung oder Pausenshow, gesponsert von irgend einem Grosskonzern. Das Spiel wird zwecks Werbung mehrmals pro Drittel unterbrochen. Die Ticketpreise überschlagen sich dermassen, dass die regelmässigen Besucher der Spiele aus der oberen Gesellschaftsschicht kommen und sich Otto-Normalbürger kaum mehr als ein Dutzend Eintrittskarten pro Jahr leisten kann. Logisch, der heutige Eishockeysport kann auch in der Schweiz ohne Werbeeinnahmen und schlussendlich Geld nicht langfristig auf diesem Niveau gehalten werden und überleben. Trotzdem macht es Sinn, sich von Zeit zu Zeit Gedanken über diese Themen zu machen und sich nicht blind die totale Kommerzialisierung zu stürzen.


Veröffentlicht im Schlittjournal vom 30. September 2015